Bewusstsein: Zwischen Automatismus und Aufbruch

Die meisten Dinge, die in unserem Körper ablaufen, bekommen wir gar nicht mit.
Unser Herz schlägt, unsere Verdauung arbeitet, Muskeln bewegen sich – ohne dass wir bewusst darüber nachdenken müssen. Und genau das ist gut so.
Schon unser allererster gemeinsamer Vorfahre – eine Art fischähnliches Wirbeltier, das vor Hunderten Millionen Jahren lebte – funktionierte fast vollständig auf Autopilot. Atmen, bewegen, überleben: alles lief automatisch. Ein „Bewusstsein“, wie wir es heute kennen, war damals weder vorhanden noch notwendig.
Wenn wir ehrlich sind: Auch bei uns läuft der Großteil aller Funktionen im Hintergrund – vollautomatisch, unbewusst. Unser Körper steuert seine inneren Abläufe, während wir gedankenverloren einen Kaffee trinken oder über das nächste Wochenende nachdenken.
Würden wir bewusst jeden Stoffwechselprozess koordinieren müssen, wir wären maßlos überfordert. Schon die Steuerung einer einzigen Eintagsfliege würde uns an die Grenzen bringen.
Doch bereits das Bewusstmachen dieser Schwächen ist ein erster Schritt zur Veränderung.
Als Menschen besitzen wir die Fähigkeit, Dinge bewusst wahrzunehmen und zu reflektieren. Diese Fähigkeit bildet die Grundlage für alles Weitere.
Bewusstsein wird oft als das Merkmal angesehen, das uns von anderen Tieren – und selbstverständlich auch von Pflanzen – unterscheidet. Objektiv ist das schwer zu messen: Pflanzen antworten auf keine Fragen, und tierisches Verhalten ist oft schwer zu interpretieren. Trotzdem bleibt Bewusstsein ein Kern unserer Identität als Spezies.

Das Bewusstsein: Die unheimliche Macht

Wir Menschen lieben es, uns für besonders zu halten. Und ja – unser Denken, unsere Sprache, unser Selbstbewusstsein sind außergewöhnlich. Aber in vielerlei Hinsicht funktionieren wir genau wie andere Lebewesen: auf Basis uralter Automatismen, tief verankert in unserem Nervensystem.
Auch unsere Instinkte blitzen regelmäßig durch:

Ein Beispiel? Erinnere dich an dein erstes romantisches Date. Wie lange hat es gedauert, bis du deinem Gegenüber etwas zu essen angeboten hast? Ganz instinktiv, wie ein Balzritual unter Rotkehlchen. Ohne drüber nachzudenken.

Unser Unbewusstes ist ständig aktiv – nicht nur im Körper, sondern auch im Verhalten
Noch heute ist Bewusstsein auf der Erde nicht weit verbreitet. Die meisten Lebewesen existieren ohne bewusste Reflexion über sich selbst. Oft wird das Vorhandensein eines Bewusstseins deshalb als das angesehen, was den Menschen von anderen Tieren unterscheidet – obwohl objektive Kriterien zur Messung von Bewusstsein kaum existieren.

Und doch: Irgendetwas ist anders.

Vor etwa drei Millionen Jahren passierte etwas Erstaunliches:
Die Großhirnrinde einiger Primatenarten begann dramatisch zu wachsen – und mit ihr die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung. Plötzlich gab es Individuen, die nicht nur handelten, sondern über ihr Handeln nachdachten. Die nicht nur existierten, sondern verstanden, dass sie existieren. Unser Gehirn wuchs, wurde komplexer und verbrauchte plötzlich ein Viertel unserer gesamten Körperenergie – ein extrem hoher Preis. Aber die Investition lohnte sich: Denn Bewusstsein war der Gamechanger.

Bewusstsein – der teure Luxus der Evolution

Was uns vom Tier unterscheidet, ist nicht nur der Körper oder die Gene. Es ist die Fähigkeit, Vergangenes zu reflektieren, Gegenwärtiges zu analysieren und Zukünftiges zu planen.

Unser Neocortex – die äußere Schicht des Gehirns – ist der Ort, an dem Denken, Fühlen und Planen miteinander verknüpft werden. Hier entstehen unsere Erinnerungen, unsere Ideen, unsere Visionen.
Bewusstsein ist teuer. Bewusstsein ist langsam. Aber es ist auch die Grundlage für alles, was wir Kultur nennen: Sprache, Kunst, Technik, Philosophie – sie alle wurzeln in unserer Fähigkeit, über uns selbst nachzudenken.

Unser Gehirn besitzt etwa 86 Milliarden Nervenzellen – jede davon verbunden mit etwa 10.000 Synapsen. Ein einzelner Kubikzentimeter Hirngewebe hat mehr Verbindungen als es Sterne in der Milchstraße gibt.

Zwischen Bewunderung und Überforderung

Und doch bleibt unser Bewusstsein ein kleiner Passagier auf einem riesigen Schiff, dessen Maschinenraum wir kaum kennen. Wie der Neurowissenschaftler David Eagleman es beschreibt:

„Das Bewusstsein ist wie ein blinder Passagier auf einem Ozeandampfer, der glaubt, er steuere das Schiff – während er nicht einmal weiß, dass es einen Maschinenraum gibt.“

Der größte Teil unserer Entscheidungen, Reaktionen und Empfindungen wird von unbewussten Prozessen bestimmt. Und das ist auch gut so: Unbewusste Abläufe sind schneller, effizienter und entlasten uns.

Aber unser Bewusstsein – so klein es im Vergleich wirkt – bleibt unser wichtigstes Werkzeug, wenn es darum geht, über Automatismen hinauszuwachsen. Es ermöglicht uns, Muster zu erkennen. Entscheidungen zu hinterfragen. Neue Wege einzuschlagen.

Zwischen Autopilot und Regie

Unser Bewusstsein ist ein mächtiges Werkzeug – aber nur dann, wenn wir lernen, es bewusst einzusetzen. Es hilft uns nicht, jede einzelne Körperfunktion zu überwachen. Aber es hilft uns, uns selbst zu verstehen, uns weiterzuentwickeln und unser Leben nicht einfach nur geschehen zu lassen.

Vielleicht ist genau das die große Kunst:
Automatisch leben, wo es sinnvoll ist.
Bewusst leben, wo es notwendig ist.

Und die feine Balance dazwischen zu meistern – Tag für Tag.